Wie es aussieht, wenn man das C2-Niveau in Deutsch erreicht: Das Beispiel von Maria

Wie es aussieht, wenn man das C2-Niveau in Deutsch erreicht: Das Beispiel von Maria

Maria zog im Alter von 22 Jahren nach Deutschland. Sie hatte einen Abschluss als Englischlehrerin mit Deutsch als Nebenfach. Nach ihren eigenen Worten war ihr Deutsch damals grausam. Doch in nur sieben Monaten in Deutschland legte sie erfolgreich die C2-Prüfung ab. Ihr YouTube-Video aus dem Jahr 2020, in dem sie alles beschreibt, hat mehr als 770.000 Aufrufe. Maria spricht darin exzellentes Deutsch, und der Gesamteindruck wird durch die hochprofessionelle technische Bearbeitung noch verstärkt. Ich dachte: Okay, Maria hatte das Manuskript sorgfältig vorbereitet, ihre Aussprache wie aus dem Lehrbuch geübt, und das Ergebnis ist eine beeindruckende Präsentation. Aber im Jahr 2021 gab sie der Deutschlehrerin Bára Ziková ein Interview für ihren Podcast Tak Trochen, auf das sie sich per definitionem nicht so sorgfältig vorbereitet haben kann. Sicher, die Fragen hat sie vielleicht im Voraus gekannt, aber trotzdem klingt Maria in dem Interview sehr natürlich und authentisch, und ihr Deutsch ist so erstaunlich, dass ich mich vor ihr verneigen muss. Um sie hier aber nicht nur mit allgemeinen Superlativen zu loben, habe ich mich entschlossen, das gesamte Interview einer linguistischen Analyse zu unterziehen. Schauen wir also, was das C2-Niveau in der Praxis ausmacht.

Ich habe mich auf prägnante Ausdrücke, Kollokationen und Redewendungen konzentriert. Grammatische Phänomene habe ich nur am Rande berücksichtigt, da eine sichere Beherrschung des Grammatischen auf dem C2-Niveau selbstverständlich ist. Mit prägnanten Ausdrücken meine ich genau jene Wörter, an die wir uns manchmal nicht einmal in unserer Muttersprache erinnern können, obwohl sie uns auf der Zunge liegen, wenn wir einen bestimmten Gedanken so präzise wie möglich ausdrücken wollen. Die meisten Menschen kennen dieses Gefühl. Aber die Frage ist, ob Maria es auch kennt. Denn sie hat es immer wieder geschafft, ihre Rede mit solchen Wörtern aufzupeppen. Ferner sind mir Kollokationen aufgefallen, wie zum Beispiel im Endeffekt. Und schließlich habe ich einige Redewendungen entdeckt. Diese unterscheiden sich von den Kollokationen dadurch, dass ihre Bedeutung nicht durch die Bedeutung der einzelnen Wörter, aus denen sie bestehen, bestimmt wird. Zum Beispiel bedeutet ins kalte Wasser springen, dass man sich entscheidet, etwas Neues, Unbekanntes auszuprobieren. Die Bedeutung der einzelnen Wörter (kalt, Wasser, springen) steht also nicht in direktem Zusammenhang mit der Bedeutung der Redewendung als Ganzes.

Macht Maria überhaupt Fehler? Ich fand zum Beispiel die Redewendung auf der sicheren Seite sein interessant. Sie gefiel mir, aber ich kannte sie nicht. Also habe ich im Duden nachgeschaut. Kein Eintrag. Sagt man das nicht so? Aber um sicher zu gehen, schaute ich im Korpus von dwds.de nach – und siehe da, die Redewendung gibt es tatsächlich:

Zwar sind mir ein paar ganz kleine Fehler aufgefallen, aber erstens kann man die an einer Hand abzählen und zweitens könnte ein Muttersprachler in einem 30-minütigen Gespräch wahrscheinlich auch ein paar machen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Maria wirklich in Deutsch denkt, das quasi zu ihrer zweiten Muttersprache geworden ist.

In der folgenden Tabelle gebe ich einen Überblick über alle oben definierten Ausdrücke und Wortverbindungen in der Reihenfolge, in der sie während des Gesprächs zu hören waren. Ich bin sicher, dass ich einige überhört oder versehentlich ausgelassen habe, aber ich denke, die Liste ist trotzdem aussagekräftig. An einigen Stellen habe ich den Kontext ergänzt.

Ein Link zum Interview im Tak Trochen-Podcast und zum erwähnten YouTube-Video findet sich am Ende des Artikels.

Ausdruck/WortverbindungKategorieFormulierung aus dem Interview
vor der Entscheidung stehenKollokationDa stand ich vor der Entscheidung: Soll ich vielleicht in die USA … oder soll ich nach Deutschland.
ab nachKollokationIch bin dann einfach mal ab nach Deutschland.
helfen + beiGrammatikIch musste das Geld selbst verdienen. … Da hat mir ein Ferienjob dabei geholfen.
nebenbei erledigenKollokationIch musste ganz viel nebenbei erledigen.
Hand in Hand gehenRedewendungEs geht einfach alles Hand in Hand. (= Erziehungssachen)
Hamsterradprägnanter Ausdruckein Hamsterrad, in dem man sich bewegt (= Arbeit für die Sprachschulen)
ins kalte Wasser springenRedewendungMan braucht immer etwas Neues, damit man immer wieder ins kalte Wasser springt und sich weiterentwickelt.
schenkenprägnanter AusdruckMir wurde noch nie irgendwas geschenkt. (= büffeln nötig)
frisch anreisenKollokationSie ist frisch angereist.
auseinandersetzenprägnanter AusdruckMan muss sich ja auch mit jedem bestimmten Prüfungsformat auseinandersetzen.
auf der sicheren Seite seinRedewendungWenn ihr zuerst English gelernt habt, dann seid ihr wirklich auf der sicheren Seite.
Einreise nachKollokationEs war kurz vor meiner Einreise nach Deutschland.
Zukunft aufbauenKollokationEs sind tolle Länder, in denen man auch seine Zukunft aufbauen kann.
in Bezug aufKollokationMan kann auch in Bezug auf die Grammatik so viele Regeln lernen.
rausbringenprägnanter AusdruckDu weißt ja bestimmt, dass ich einen Aussprachekurs rausgebracht habe.
abgehacktprägnanter AusdruckDeutsch klingt abgehackt.
ankämpfen + gegenprägnanter Ausdruck GrammatikDagegen muss man auf jeden Fall ankämpfen.
seinen Lebensunterhalt verdienenKollokationMan kann als Lehrerin in Russland wirklich gar nicht seinen Lebensunterhalt verdienen.
ankommenprägnanter AusdruckMan muss auch Sachen gut erklären können, damit der Stoff bei den Lernern auch so ankommt.
im EndeffektKollokationNicht jeder kann ein guter Lehrer sein. Und das ist das, was im Endeffekt zählt.
Ruf bewahrenKollokationWir können … den guten Ruf von unserem Lehrerberuf bewahren.
(etwas) beigebracht bekommenKollokationEs war gar nicht so einfach, weil man so was (= die korrekte Aussprache) gar nicht in den Kursen beigebracht bekommt.
auf der Strecke bleibenRedewendungDie Aussprache bleibt auf der Strecke.
weitergebenprägnanter AusdruckJetzt gebe ich dieses Wissen an meine Schüler weiter.
wie eine Bombe einschlagenRedewendungDer Kurs hat wie eine Bombe eingeschlagen.
geschenkt bekommenKollokationJeder Schüler bekommt ein Arbeitsheft geschenkt.
beanspruchenprägnanter AusdruckMan kann das Heft ausdrucken, damit wirklich alle Sinne beansprucht werden.
Zugriff aufGrammatikMan bekommt lebenslangen Zugriff auf alle Kursinhalte.
festlegenprägnanter AusdruckIch würde jetzt keine Zahl festlegen. (= für die erforderliche Zeit zur Entfernung des fremden Akzents)
am Ball bleibenRedewendungMit der Aussprache ist es einfach eine Übungssache. Man muss einfach am Ball bleiben.
auf der emotionalen EbeneKollokationMan merkt das so auf der emotionalen Ebene, dass man nicht genauso spricht, wie die Muttersprachler.
anrufen + Dativ bei EinrichtungenGrammatikWenn man irgendwo in der telefonischen Zentrale anruft, …
heraushörenprägnanter AusdruckDas haben sie sofort herausgehört, dass ich aus Russland komme.
abstempelnprägnanter AusdruckMan möchte nicht sein ganzes Leben lang als Ausländerin abgestempelt werden.
einplanenprägnanter AusdruckBald sind Videos eingeplant, in denen ich mehr über die Aussprache erzähle.
knackigprägnanter AusdruckDie kurzen, knackigen Wörter finde ich tatsächlich am schönsten.

Links

Maria – YouTube-Video

Tak Trochen-Podcast: Interview mit Maria

Bild von Maria habe ich von ihrer Webseite heruntergeladen: https://dein-sprachcoach.de/

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